Haldern 2010 (1): Das Jahr der Blasmusik

by - August 17, 2010

Letztes Wochenende habe ich zum 2. Mal in meinem Leben das Haldern-Festival am Niederrhein besucht, und erstmalig bei gutem Wetter. Einiges ist bei diesem kleinen Indie-Festival mit treuen Zuschauern traditionell jedes Jahr gleich: Um den Teil der Konzerte, die im intimen Spiegelzelt stattfinden, besuchen zu können, muss man als zahlender Gast Schlange stehen und hat dennoch keine Einlassgarantie. Es gibt eine überschaubare Anzahl der immer gleichen Fressstände, und einige von ihnen sind nicht sonderlich gut. Dafür aber sind 98 % der Gäste, Bedienungen, Einlasser und Securityleute sehr freundlich, die Umgebung ist schön, es herrscht allgemein gute Laune und man kann unter den größtenteils eher unbekannten Bands neue musikalische Entdeckungen machen.

Wir waren erst am Freitag angereist und hatten folglich die Donnerstagabend-Bands bereits verpasst. Das entpuppte sich als kein großer Verlust, denn wir erfuhren, dass die Schlange vor dem besagten Zelt so unermesslich lang gewesen sein muss, dass ein Hereinkommen ziemlich aussichtslos war. Auch wir mussten am Freitag erst einmal anstehen, um überhaupt aufs Gelände zu gelangen, doch anschließend kamen wir überraschend problemlos ins Zelt und konnten dort und auf der Hauptbühne unsere Konzertauswahl besuchen. Die da war:

Fyfe Dangerfield

Der Sänger, der 2008 mit den Guillemots gekommen war (und von diesen im Laufe des Auftritts "Made Up Love Song #43" zum Besten gab) , versuchte es dieses Mal alleine. Er setzte seine gute Singstimme überraschend laut ein und spielte dazu Gitarre (elektrisch bei "Faster Than The Setting Sun", akustisch bei "Livewire") oder Keyboard ("When You Walk In The Room"). Dafür, dass er sich extra Streicherinnen mitgebrcht hatte, hatten diese erstaunlich wenig zu tun und fanden nur bei zwei Stücken Beschäftigung. Das Billy Joel-Cover "Just Like a Woman" (in Großbritannien ein Riesen-Werbehit, der nachträglich ins Soloalbum aufgenommen wurde) schien mir auf das hinzudeuten, was Fyfe gerne wäre: Ein klassischer Popstar, der umjubelt  bei "Wetten, dass..." auftritt, und niemand, der nachmittags auf einer Pferdeweide spielt.


Laura Marling

Nach Fyfe kam Laura Marling, die in England mit ihrem zweiten Album "I Speak Because I Can" Platz 4 der Album-Charts erreichte, in Deutschland aber noch nachmittags in Festzelten auftritt - deren Enge und Intimität aber gut zu ihrer Folkmusik passt. Laura erschien mit blondem Dutt (der allgemeinen Festival-Lieblingsfrisur), was ihren Kopf seltsam einfarbig wirken ließ. Zuerst spielte sie die neuen Songs "Devil’s Spoke" und "Rambling Man" und ich dachte mir, dass das alles etwas belanglos sei. Sobald sie zu Songs vom ersten Album "Alas, I Cannot Swim" überging, wurde aber alles plötzlich viel besser - sowohl das alte Album als auch die frühere Haarfarbe waren nämlich einfach einen Tick interessanter.



Zur Unterstützung hatte die Künstlerin eine Liveband dabei, deren prominentestes Mitglied Marcus Mumford von Mumford and Sons an der Mandoline war. Dieser spielte voll Inbrunst und sang, wenn er gerade nicht gebraucht wurde, vom Bühnenrand aus enthusiastisch mit - besonders auffällig war das bei "Hope in the Air". Das Publikum wurde ebenfalls involviert und in einem nun folgenden Akustikset, das einen neuen Song und "Goodbye England (Covered in Snow) umfasste, bei "Night Terror" gebeten, statt eines eigentlich erforderlichen Geigensolos mitzupfeifen und damit die bislang talentiertesten Publikumspfeifer aus Sydney zu übertrumpfen, doch wir versagten kläglich. Trotzdem ein schönes und auch unterhaltsames Konzert.



Delphic

Zugegeben, Haldern war dieses Jahr sehr folkig. Jede zweite Band schien ein Akkordeon dabei zu haben, und annähernd jede verfügte über Bläser. Aus diesem Brei stachen die elektrisch klingenden Delphic extrem heraus.



Die Band löste das Problem "neuer" Musiker, das darin besteht, dass nicht sonderlich Material zum Performen vorhanden ist, man aber natürlich sein Konzert zeitlich füllen möchte, auf eine für mich neue Art: Die Lieder des Debutalbums waren allesamt live länger  und gingen wie bei einem DJ-Set ohne Pausen ineinander über, wobei die Hits " Doubt", "This Momentary" und "Counterpoint" allesamt vorkamen. Der sehr motivierte Sänger forderte immer wieder zum Tanzen auf und stellte sich zur Motivation selbst auf eine aufgerichtete Monitorbox, und viele kamen dem Wunsch nach - während ich persönlich die Tageszeit für Elektronik noch etwas früh fand und Dunkelheit als passender empfunden hätte. Das Set endete mit "Acolyte", das auch im Original fast neun Minuten dauert.

Setliste (Internetrecherche):
  1. Intro
  2. Clarion Call
  3. Doubt
  4. Red Lights
  5. This Momentary
  6. Submission
  7. Halcyon
  8. Counterpoint
  9. Acolyte




Mumford and Sons

Weiter ging es mit Laura Marlings Kumpels, dieses Mal vor großem Publikum auf der Hauptbühne: Marcus Mumford arbeitete an diesem Tag eine Doppelschicht. Auch die eigenen Lieder trug er äußerst inbrünstig vor, und das vor überaus großen Zuschauerandrang - offenbar hatte der letztjährige Auftritt im Spiegelzelt bei vielen einen guten Eindruck hinterlassen - und endlich gab's auch wieder Blechbläser ...

Mumford and Sons spielten ihr Album "Sigh No More" nahezu komplett und probierten auch einige neue Lieder aus. Bei "White Blank Page" sang das Publikum so begeistert mit, dass der Song auch nach seinem Ende noch eine Weile lang angestimmt wurde.

Leider war auch der Idiotenfaktor bei diesem Auftritt besonders hoch, und ich musste vor idiotischen Mittänzern und einem besoffenen Hasen an den Rand fliehen. Schade.

Setliste (Internetrecherche):
  1. Sigh No More
  2. Awake My Soul
  3. Winter Winds
  4. Roll Away Your Stone
  5. Nothing Is Written
  6. White Blank Page
  7. Little Lion Man
  8. Lover Of The Light
  9. Thistle & Weeds
  10. Timshel
  11. The Cave
  12. Dust Bowl Dance


Beirut

Für uns endete der Freitag mit der amerikanischen Balkan-Folk-Popband Beirut, die dem inoffiziellen Motto des Festivals folgte wie keine andere und  instrumentalisch mit Trompete, Tuba und Horn aufwartete (und natürlich auch einem Akkordeon).



Die Setliste enthielt einige alte Hits wie "Postcards from Italy", aber auch etliche obskurere Lieder, wobei sich diese im Aufbau allesamt sehr ähnelten - für mich zu sehr. Die Begeisterung anderer Zuschauer war aber größer, und so begannen einige Fans, von backstage auf die Bühne zu klettern und dort neben der Band zu tanzen. Eine Weile lang ließ man sie gewähren, und sie versuchten vergeblich, den Tourmanager zum Mitmachen zu bewegen, aber irgendwann wurden sie dann doch von der Bühne verjagt. Vielleicht waren diese Fans ja beim Beirut-Konzert in der Kölner Philharmonie gewesen, das ebenfalls mit Bühnentanzen endete - aber atmosphärisch um einiges toller gewesen sein muss.

Setliste (Internetrecherche):

  1. Nantes
  2. The Shrew
  3. Elephant Gun
  4. Mimizan
  5. Postcards From Italy
  6. Cocek
  7. Scenic World
  8. East Harlem
  9. Cherbourg
  10. The Akara
  11. A Sunday Smile
  12. Closing Song
  13. The Penalty
  14. La Fete (Folks And Knives)
  15. The Gulag Orkestar

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