Sherlock-ed

by - Mai 11, 2011

Letztes Jahr habe ich ja bereits recht angetan über den Sherlock Holmes-Kinofilm von Guy Ritchie berichtet. Teil 2 ist mittlerweile abgedreht und kommt dieses Jahr in die Kinos. So weit, so (wirklich) gut.

In der Zwischenzeit ist mein Interesse an der Romanfigur Sherlock Holmes, das ursprünglich nicht erwähnenswert war, allerdings beträchtlich gewachsen. Ich habe etliche Kurzgeschichten und eineinhalb der Romane gelesen, und das liegt - neben der Tatsache, dass man all das legal und völlig umsonst aufs iPhone laden kann - nicht etwa an dem guten Film, sondern an einer in meinen Augen noch besseren Fernsehserie.


Die BBC hat nämlich letztes Jahr den Fernseh-Dreiteiler Sherlock produziert, ich bekam ihn netterweise auf DVD geschenkt - und war mehr als angetan. Anders als der Guy Ritchie-Film spielt Sherlock im London der Gegenwart, ich würde aber davon abgesehen behaupten, dass diese Verfilmung in Vielem originalgetreuer ist als der Spielfilm. Gut - Sherlock Holmes verbreitet seine Thesen zur "Science of Deduction" heutzutage natürlich auf seiner Website und nicht in einem Zeitungsartikel. Ebenso hält Watson (ein in der Serie wie übrigens auch im ersten Doyle-Roman frisch aus Afghanistan zurückgekehrter Militärarzt) die gemeinsamen Abenteuer in einem Blog fest, nicht in Pamphleten. Und selbstverständlich nehmen Computer und GPS-Handys bei den Ermittlungen einen wichtigen Platz ein - alles andere wäre ja auch nicht zeitgemäß.

Nehmen wir ein Beispiel: Es gibt eine bekannte Szene aus dem zweiten Sherlock Holmes-Roman The Sign of Four, in der Holmes Watson eindrucksvoll zeigt, wie viele verblüffende Schlüsse er aus dessen vom Bruder geerbten alten Taschenuhr ziehen kann: Er errät korrekt Alkoholsucht, Finanzprobleme und generelle Unachtsamkeit. Im Sherlock Holmes-Film kommen diese Schlussfolgerungen ebenfalls vor (beziehen sich hier aber auf den toten Rothaarigen aus Lord Blackwoods Sarg).

In Sherlock wird diese Szene nun einfach auf Watsons Handy übertragen: Holmes kann seinem neuen Bekannten anhand des Telefons auf den Kopf zusagen, dass sein Bruder das Handy von seiner Frau hatte, diese aber kürzlich verlassen und das Handy Watson geschenkt hat, dass er ein Alkoholproblem hat und dass die beiden sich nicht sonderlich nahe stehen.

Die meisten dieser "Aktualisierungen" funktionieren geradezu verblüffend gut, was nicht zuletzt daran liegt, dass die beiden Autoren Steven Moffat (er verpasste bereits Dr. Jekyll und Mr. Hyde einen aktuellen Anstrich) und Mark Gatiss große Arthur Conan Doyle-Fans sind und an ihrem Projekt sichtlich viel Spaß hatten.



Was nun die Person des Sherlock Holmes selbst betrifft, erinnert er heutzutage etwas an Dr. House: Während in Doyles Romanen zwar durchaus gelegentlich angedeutet wird, dass Holmes nicht der angenehmste Mitbewohner der Welt ist und beispielsweise Watsons Veröffentlichungen zu seinen Fällen eher herablassend-spöttisch gegenüber steht, ist Holmes 2010 nach eigenen Angaben ein "highly-functioning sociopath", und so entspinnt sich kurz nach seiner ersten Begegnung mit Watson dieser Dialog:
Watson: That was amazing.
Holmes: You really think so?
Watson: Yes, of course, it was truly extraordinary.
Holmes: That's not what people normally say.
Watson: What do people normally say?
Holmes: Piss off.
Sherlock bereitet also auf mehreren Ebenen Freude: Man kann sich, wenn man die zugrunde liegenden Geschichten kennt, darauf freuen, zu erfahren, was wie in die Gegenwart übertragen wurde. Darüber hinaus ist die Serie gerade beim Spannungsverhältnis Holmes/Watson aber auch häufig sehr witzig und nicht zuletzt überaus spannend.

Und noch ein Zusatzvergnügen bereitet die Serie: Die Macher erklären in den DVD-Kommentaren, dass ihnen daran lag, das moderne London als interessant und aufregend darzustellen, und das ist in meinen Augen ebenfalls sehr gut gelungen: Ob man nun die Baker Street sieht, die National Gallery, moderne Bankgebäude oder vollgesprayte Tunnel am Ufer der Themse: Alles löst bei  mir "Nach London müsste man auch mal wieder!"-Gedanken aus.

Es gibt leider nur drei mickrige Folgen, von denen die erste, "A Study in Pink" eine Umsetzung des ersten Sherlock Holmes-Romans A Study in Scarlet darstellt. Teil zwei "The blind banker" beruht anscheinend auf den Kurzgeschichten "The Valley of Fear" and "The Dancing Men" und Folge drei, "The Great Game" dürfte dem Tempo nach auf Dutzenden von Quellen basieren.

Die ARD wird Sherlock irgendwann dieses Jahr in Deutschland zeigen. Hoffentlich kenne ich bis dahin aber schon die zweite Staffel, die die BBC gerade dreht und dann hoffentlich bald auch ausstrahlt ...

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