Markus Kavka vs. Steve Blame: Vom VJ zum Autor

by - Juli 06, 2011

Wie viele Menschen meines Alters habe ich in meiner Jugend häufig Musikfernsehen gesehen. Ich konnte MTV Europe seit seiner Einspeisung ins deutsche Kabelnetz 1989 empfangen und nutze die Gelegenheit ausgiebig. Als VIVA 1993 dazu kam, war ich weniger begeistert, schaute den Sender aber ebenfalls. Lediglich VIVA 2 habe ich irgendwie verpasst, wohl, weil ich 1995 für ein Jahr ins Ausland ging und anschließend eine Wohnung ohne Kabelempfang bezog. Irgendwie ist es ein ganz schöner Gedanke, dass ich meine Jugend dann doch nicht ausschließlich vor dem Fernseher verbracht zu haben scheine ...

Jedenfalls kannte ich mich früher mit MTV und seinen VJs bestens aus, wusste alles über die Sendungen und lernte viele Bands über ihre Videos neu kennen. Besonders schätze ich dabei die für Indie-Musik zuständigen Sendungen wie 120 Minutes und später Alternative Nation, sah mir aber auch vieles, vieles andere an... die Alternative wäre ja im allgemeinen gewesen, etwas fürs Studium zu tun.

Dieses Jahr habe ich nun gleich zwei Bücher meiner früheren Fernsehhelden gelesen: Markus Kavkas Roman Rottenegg und Steve Blames Autobiographie Getting Lost Is Part of the Journey: MTV, Deutschland und ich. Um es kurz zu machen: Die Werke sind recht unterschiedlich, enttäuscht haben sie mich aber leider beide.



Kavkas Roman ist, das hat er immer wieder betont, nicht über ihn selbst. Die Hauptfigur Gregor ähnelt ihm allerdings biographisch stark: Wie Kavka arbeitet er als im Vergleich dienstältester und beliebter Moderator bei einem Musiksender und stammt ursprünglich aus der bayerischen Provinz (Rottenegg ist der Nachbarort von Kavkas Heimat Manching). Die fiktive Romanhandlung beginnt mit der Ende der Musikfernsehkarriere:  Gregor wird dort überraschend vor die Tür gesetzt. Nachdem er dann noch seine Schauspielerfreundin mit einem Freund im Bett erwischt, ist seine Lebenskrise komplett. Er versinkt im Party- und Drogensumpf, unternimmt einen halbherzigen Selbstmordversuch und zieht schließlich vorübergehend zurück zu seinen Eltern ins bayerische Kaff Rottenegg. Dort erscheint zunächst alles schöner und einfacher, ist es aber letztlich nicht. Und als Gregor auch den neuen Problemen entflieht, indem er nach Berlin zurückkehrt, kommt es dort nach einem kurzen Hoch zur endgültigen Katastrophe.

Ich habe mit dem Roman verschiedene Probleme. Zunächst ist es für einen Leser, der irgendetwas über Kavka weiß, extrem schwer, ihn nicht als die Hauptfigur zu sehen. Natürlich dürften viele Figuren und Situationen - und insbesondere das Ende - ausgedacht sein, aber die oberflächlichen biographischen Parallelen von Autor und Protagonist sind so zahlreich, dass die Trennung auf Leserseite schwer fällt. Wenn Gregor zum Beispiel berichtet, dass er schon früher begeistert Fußball gespielt habe, fürs Tor aber immer zu klein gewesen sei, komme ich nicht umhin zu denken, dass hier Markus Kavka über sich selbst erzählt. Und natürlich ist es für jeden aspirierenden Romanautor empfehlenswert, über etwas zu schreiben, das er selbst gut kennt, aber in diesem Fall scheint es, als habe man es sich beim erzählerischen Unterbau etwas zu einfach gemacht.

Und dann ist da noch die Geschichte selbst, die bei mir die Frage aufwarf, was das alles nun eigentlich soll. Mir wurde nicht richtig klar, woran der Protagonist nun eigentlich wieder und wieder scheitert. Die Tatsache, dass er es tut, scheint eine Lehre zu beinhalten, aber sie erschließt sich mir nicht. Und da sich Gregor in vielen Situationen nicht gerade schlau verhält, hält sich auch mein Mitleid in Grenzen. Vielleicht ist die Hauptfigur ein Beispiel für jemand, der es im Leben stets ein wenig zu einfach hatte und deshalb mit Fehlschlägen nicht umgehen kann? Mag sein, aber dann bleibt das Identifikationspotenzial für den Leser natürlich auf der Strecke: Die wenigsten von uns haben eine derart behütete Existenz.

"Hamma wieder was gelernt," so endeten früher Kavkas MTV-Nachrichten, kann ich hier aber leider nicht behaupten.



Getting Lost Is Part of the Journey: MTV, Deutschland und ich ist kein Roman, sondern ... ja was eigentlich? Der gerade in Deutschland ehemals sehr bekannte Nachrichtenmoderator Steve Blame erzählt hier über die Anfänge und den Erfolg von MTV Europe, aber ebenso über seine heutigen Versuche als Drehbuchautor, seine Kindheit und verschiedene seiner Beziehungen und besten Freunde. An und für sich also eine klassische Autobiographie mit durchaus interessanten Themen, wenn nicht alles so ein furchtbares Durcheinander wäre!

Es ist, als säße man mit Blame in einer Kneipe und er erzählte beim soundsovielten Bier über sein Leben, wie es ihm gerade in den Sinn kommt. Dass für den Leser einige Bereiche (zum Beispiel seine Interviewerfahrungen mit Superstars oder die Anfangspannen bei MTV Europe, als man noch quasi unter Ausschluss der Öffentlichkeit sendete) erheblich interessanter sind als andere, ebenso ausführlich erzählte (etwa seine Kurzbeziehung zu einem Psychopathen, seine Freundschaft zu einem Zahnarzt und vor allem seine vielen, vielen Bemühungen, sich mit seinem Drehbuch-Coautor auf ein Skript zu einigen), scheint keine Rolle zu spielen - für Blame ist das alles wichtig, und deshalb muss der Leser da eben auch durch.

Witzigerweise kann man ihm aber nicht vorwerfen, sich dieser Problematik nicht bewusst zu sein. So zitiert er einen seiner Ratgeber:

Herr G. hat mir eine E-Mail geschickt. (...) Er möchte, dass ich die Story "verschlanke, hier und da etwas weglasse". (...) "Weißt du, die Geschichte mit dir und Stevie Wonder (...) ist brilliant, so feinfühlig, so rührend und unglaublich, dass sie eine herausragendere Stellung verdient hätte. (...) Und das verwurstest du, quasi als Wegwerfparagraph, in einem Kapitel, das beschreibt, wie du durch die Straßen von Amsterdam kriechst (...)".

Man erfährt vieles durch Treffen Blames mit seinen Weggefährten aus verschiedenen Lebensabschnitten, anhand derer er sich an bestimmte Situationen erinnert, und zu ergründen versucht, was für ein Mensch er früher war und heute ist. So fühle ich mich als Leserin letztendlich etwas missbraucht: Zusätzlich zu den durchaus interessanten Geschichten über MTV und VIVA 2 muss ich mich durch vieles beißen, dass ausschließlich der Beantwortung von Blames Frage nach der eigenen Identität zu dienen scheint. Und das ist nun einmal ein Thema, das für ihn um eine Vielfaches interessanter ist als für seine Leser. Das ist um so überraschender, als in dem Buch etliche Treffen mit verschiedenen Therapeuten, Beratern und Wahrsagerinnen erwähnt werden. Braucht man, wenn man so viele bezahlte Ratgeber hat, auch noch das Schreiben als Therapie, und muss man dessen Ergebnisse dann auch noch verkaufen?

"I see you soon, and have a good one" war der Endspruch für die Steve Blame-Nachrichten. Nee, lass mal, Steve.

Verkaufszahlen kann ich nicht finden, denke aber, beide Bücher werden ihr Publikum finden, wie es auch bereits die Werke von Sarah Kuttner (Mängelexemplar) und natürlich Charlotte Roches Bestseller (Feuchtgebiete) getan haben. Und hat nicht selbst Heike Makatsch irgendetwas zum Film Keine Lieder über Liebe auf den Markt geworfen?* Meine eigene Vorsicht gegenüber Moderatorenveröffentlichungen nimmt indes jedenfalls zu.

(* Ja, hat sie: Keine Lieder über Liebe – Ellens Tagebuch)

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