Hurricane Festival 2012 Tag 2: Lat.: 53.2, Lon.: 9.5225

by - Juni 25, 2012


Nach einer erholsamen, wenn auch kurzen Nacht in einem Landhotel, dessen restliche Kundschaft ebenfalls aus Hurricanegästen zu bestehen schien, ging es am Samstag gegen 17 Uhr wieder aufs Festivalgelände, das uns nun noch voller erschien. Egal, wo man sich hinzubewegen versuchte, überall Menschenmassen. Allerdings blieben an diesem Tag dennoch jegliche Begegnungen mit menschlichen Abgründen aus, sowohl die anderen Besucher als auch die Securityleute verhielten sich ausnahmslos freundlich und rücksichtsvoll, und das Wetter war ebenfalls prima. Muss man ja auch mal sagen ...

Thees Uhlmann


Ein Leitmotiv für mich an diesem Festivalsamstag war meine Erkenntnis, dass meine Vorstellungen davon, welche Bands wie erfolgreich sind, nicht immer der Realität entsprechen. So hatte ich unter anderem nicht damit gerechnet, dass sich bei einem Auftritt von Thees Uhlmann größere Menschenmengen einfinden würden und lag damit gründlich falsch. Thees selbst war über das Besucheraufkommen ausgesprochen erfreut und rief uns zu „Wer hätte vor einem Jahr gedacht, dass ich hier heute vor so vielen Leuten spiele!“, woraus ich schließe, dass er solo erfolgreicher ist als mit Tomte. Wusste ich nicht.

Sein spezieller Erfolg beim Hurricane hängt natürlich auch damit zusammen, dass er selbst aus dieser norddeutschen Einöde stammt, und so sangen um uns herum nicht nur zahlreiche Abiturienten jede Textzeile mit, sogar Hamburger Prominenz hatte sich in Form von Tim Mälzer eingefunden. Darüber hinaus hielt ein Mädchen ein dekoriertes Pappschild mit dem Ortsnamen „Hemmoor“ hoch – Thees Uhlmanns Heimatort war also ebenfalls vertreten.


Das Set begann mit Thees und seiner Keyboarderin Julia Hügel, die vor dem Auftreten der restlichen Band den Anfang von „Römer am Ende Roms“ gemeinsam darboten. Der Sänger blieb zunächst ungewohnt ohne Gitarre und überließ die Instrumente für die ersten beiden Lieder seiner Band. In der bekannt netten Thees-Art widmete er seine Lieder unterschiedlichen Gruppen: „Mädchen von Kasse 2“ ging an alle, die beim Festival arbeiten müssen (was dem Brezelverkäufer neben mir einen Jubelschrei entlockte), „Lat: 53.7 Lon: 9.11667“, das er „Hier komme ich her, hier bin ich geboren“ nannte, ging an alle, die vom Land stammen und schließlich „Die Toten auf dem Rücksitz“ an Band und Crew.

Auch einige Geschichten bekamen wir erzählt, so (ebenfalls zu „Lat: 53.7 Lon: 9.11667“), dass er als Kompromiss mit seinen Pädagogeneltern als Heavy Metal-Fan nur einen Vokuhila tragen durfte, zu „Sommer in der Stadt“, dass er von einem Berliner, den er darauf hingewiesen hatte, dass er ein Taschentuch auf die Straße geworfen habe, die Antwort „Fick dich, Alter!“ bekommen habe und zu guter Letzt noch viele Lobpreisungen zu seinem nicht anwesenden Duettpartner Casper: „In einer Welt, in der Casper mehr Platten verkauft als Sido und Bushido zusammen, ist die Hoffnung noch nicht verloren!“


Casper, dessen Erfolg ebenfalls ein wenig an mir vorbei gegangen ist, war bereits am Freitag beim Hurricane aufgetreten, so dass die beiden zwar beim selben Festival spielten, sich aber nicht gegenseitig unterstützen konnten. Hätte man das im Zeitplan nicht besser abstimmen können?

So konnte Thees ihm den gemeinsamen Song „& Jay-Z singt uns ein Lied“ zwar widmen, musste ihn aber allein darbieten. Er übernahm den Sprechgesang-Part einfach selbst und rief danach aus „Ich habe gerappt!“ und legte noch die andere, auf Caspers Album zu findende Kooperation „XOXO“ nach.

Das letzte Lied „Die Toten auf dem Rücksitz“ stellte dann eine Rückkehr zum Anfang dar: Während die übrigen Bandmitglieder um Tobias Kuhn, der das Finale mit seinem Handy filmte, ihre Instrumente bereits zur Seite gelegt hatten, sang Thees allein mit der Keyboarderin. Die Menge war von Anfang bis Ende begeistert und Thees so gerührt, dass er sich am Ende sichtlich gar nicht von uns trennen mochte und rief „Ich komme hier aus der Gegend!“. Für eine Zugabe war aber dennoch leider keine Zeit.


Setliste:

Römer am Ende Roms
Das Mädchen von Kasse 2
Vom Delta bis zur Quelle
Lat: 53.7 Lon: 9.11667
Sommer in der Stadt
Zum Laichen und Sterben ziehen die Lachse den Fluss hinauf
Die Nacht war kurz (ich stehe früh auf)
17 Worte
& Jay-Z singt uns ein Lied
XOXO (Casper Cover)
Die Toten auf dem Rücksitz

Florence and the Machine


Stattdessen war es auf derselben Bühne schon beinahe Zeit für Florence and the Machine. Das Publikum um uns herum wechselte in Richtung weiblich und  modebewusst, und auch auf der Bühne bekamen wir nun etwas grundsätzlich anderes zu sehen.

Es erschienen ein Harfist (!) ein Gitarrist, zwei Schlagzeuger, eine Background-Sängerin und zwei Keyboardspieler, eine davon weiblich, mit blauen Haaren und transparentem Kleid. Danach schwebte auch Florence in einem wallenden Blumengewand, blass, groß und rothaarig auf die Bühne, sie eröffnete ihr Set mit „Only If for a Night“ und „What the Water Gave Me“.


Persönlich hält sich meine Begeisterung für die Musik von Florence Welch eher in Grenzen. Mir ist das alles zu ätherisch und Enya-mäßig. Und auch der Auftritt ging mir zu Beginn ein wenig auf die Nerven. Mit großen Gesten und durchinszenierten, dramatischen Posen erschien mit Frau Welch überkandidelt und darüber hinaus wenig passend zum Festivalumfeld. Im Laufe des Auftritts musste ich meine Meinung jedoch ändern. Zu nett war die Engländerin und zu begeistert ihr Publikum – und sie wiederum zu dankbar dafür. Die Musik mag immer noch nicht meins sein, aber die Band ist mir ein Stück näher gekommen.


Vor „Rabbit Heart (Raise It Up)“ forderte Florence als Gegenleistung für die weite Anreise der Band ein Menschenopfer, und so sollte jeder, der mit einem geliebten Menschen da war, diesen hochheben und so als Opfer darbieten, was ein nettes Bild ergab. Bei „Spectrum“ wurde dagegen mit der Anweisung „get your shit out“ (in Erinnerung an den pinkelnden Engländer vom Vorabend löste diese Aufforderung bei mir etwas Panik aus) ein Tanzwettbewerb ausgerufen, und zu „Dog Days Are Over“ sollten wir rhythmisch hüpfen, was die zahlreichen Fans auch ausgiebig taten.

Ähnlich wie Thees zeigte auch Florence echte Freude über die entgegengebrachte Wertschätzung und erzählte, man sei bereits im vergangenen Jahr hier gewesen, aber bei schlechterem Wetter und vor kleinerem Publikum. Nach diesem Auftritt dürfte sicher sein, dass die Band auch noch ein weiteres Mal für das Hurricane / Southside gebucht werden wird.


Setliste:

Only If for a Night
What the Water Gave Me
Cosmic Love
Rabbit Heart (Raise It Up)
Spectrum
Shake It Out
Never Let Me Go
Dog Days Are Over
No Light, No Light


Noel Gallagher’s High Flying Birds


Und wieder konnten wir zwischen zwei Konzerten einfach vor der Bühne stehen bleiben, während um uns herum das Publikum ein weiteres Mal wechselte. Junge Modeblogleserinnen wurden durch ältere, männliche Oasis-Fans ausgetauscht.

Noels Auftritt war durchaus gut, lässt aber wenig Raum für Berichte. Wie schon beim Kölner Konzert war er offenbar angereist, um seine Lieder professionell zu präsentieren, nicht weniger, aber auch nicht mehr. So etwas kann man sich wohl nur leisten, wenn man Titel wie „If I had a Gun“ oder „Little by Little“ im Gepäck hat und sich den „Godlike Genius Award“ des NME auf die Boxen stellen kann.


Auf gerührte Ansprachen, lustige Anekdoten oder Publikumsanimationen mussten wir selbstverständlich verzichten, immerhin konnten ihn aber einige Publikumsmitglieder ein wenig aus der Fassung bringen: Ein Mensch im lila Bodysuit unter einem Manchester City-Shirt erregte Noels Mitleid wegen seiner „skin condition“ und bekam ein Lied gewidmet, ebenso ein Mädchen mit einer winzigen Melone, die er „psychedelic“ fand. Mehr Erwähnenswertes gab es nicht, höchstens noch die Ankündigung, dass der nach ihm auftretende Marcus Mumford sich seine Hand gebrochen habe und deshalb heute alle Instrumente mit den Füßen bedienen werde.


Noels traditionelle, nahezu zementierte 90-minütige Setliste wurde für den einstündigen Auftritt einfach nur ein wenig zusammengestutzt, die Reihenfolge blieb gleich. So fehlten die B-Seite „The Good Rebel“ und das unveröffentlichte „Freaky Teeth“ nur bedingt, wurden aber die sonst akustisch dargebotenen „Supersonic“ und „Wonderwall“ durchaus vermisst. Besonders auf „Whatever“ im Zugabenteil hatte sich mein Freund gefreut, doch auch das fiel dem Rotstift zum Opfer.

Aber wir waren ja schon froh, dass Herr Gallagher überhaupt erschienen war, schließlich kollidierte sein Auftrittstermin mit dem EM-Viertelfinalzeitplan. So präsentierte er uns Großteile seines Soloalbums, drei Oasis-B-Seiten und als Abschluss nach „Little By Little“ das durch den Fangesang immer wieder berührende „Don't Look Back In Anger“.


Setliste:

(It's Good) To Be Free
Everybody's on the Run
Dream On
If I Had a Gun...
The Death of You and Me
 (I Wanna Live in a Dream in My) Record Machine
AKA... What a Life!
Talk Tonight
AKA... Broken Arrow
Half The World Away
(Stranded On) The Wrong Beach
Little By Little
Don't Look Back In Anger

Mumford & Sons


Wo wir schon einmal bei den Gallaghers sind: Bei jeder Erwähnung der Band Mumford & Sons muss ich an ein Zitat von Liam denken, der über diese Band einmal sinngemäß sagte, der Sinn des Rockstardaseins sei doch, cool zu sein, und nicht, sich anzuziehen wie Amish People.

Zugegebenermaßen war der Amish-Eindruck am Samstagabend beim Hurricane weniger intensiv als sonst: Herr Mumford selbst trug ein schickes Sakko, seine Band bevorzugte eher Jeanslook. Auch der andere Gallagher lag mit seiner (scherzhaften) Vermutung falsch: Marcus Mumford, die rechte Hand im Gips, nutzte die linke, um gelegentlich auf die Pauke zu hauen und stand mit den Füßen fest auf den Brettern der Blue Stage. Seine Aufgaben an Gitarre und Schlagzeug wurden von zwei Gastmusikern übernommen. Viel Manpower also bei Mumford & Sons, denn fünf weitere Musiker bedienten Blas- und Streichinstrumente.

Auf einer mit Satellitenschüsseln dekorierten Bühne wurden uns neben den bekannten Songs des Debütalbums „Sigh No More“ auch Titel aus der neuen, im September erscheinenden Platte dargeboten: „Below My Feet“, „Ghosts That We Knew“ und „Whispers In The Dark“.


Mumford & Sons ist eine weitere Gruppe, deren Bekanntheit ich offensichtlich völlig falsch eingeschätzt hatte. Zum Auftritt war wesentlich mehr Publikum gekommen als zu den vorausgegangenen Bands, und nachdem etliche der Liedanfänge bejubelt und beklatscht wurden, waren die Leute auch nicht aus Langeweile gekommen. Zu „Timshel“ wurden sogar Feuerzeuge und Wunderkerzen gezündet.
Ben Lovett schmierte uns zusätzlich Honig um den Mund, indem er erklärte, er habe selten ein derart ruhiges und aufmerksames Festivalpublikum erlebt, und dass er auch beim vorangegangenen Auftritt von Florence and the Machine beeindruckt gewesen sei, wie respektvoll wir alle zugehört hätten.

Außerdem probierte die Band auch ihre äußerst begrenzten Deutschkenntnisse an uns aus, so bekamen wir zunächst gesagt, „Ted hat heute Geburtstag“, um nach einer Publikumsdarbietung von „Zum Geburtstag viel Glück“ zu erfahren, dass dieser Satz bei jedem Konzert in Deutschland geäußert wird, weil er zu den wenigen gehört, die sie beherrschen. Wir wurden aber immerhin auch zu zukünftigen Geburtstagsfeiern anlässlich des neuen Albums eingeladen.


Setliste:

Lover's Eyes
Little Lion Man
Winter Winds
White Blank Page
Timshel
Below My Feet
Roll Away Your Stone
Lover of the Light
Thistle & Weeds
Ghosts That We Knew
Awake My Soul
Dust Bowl Dance
Whispers In The Dark
The Cave

Garbage

Mitte der Neunziger war ich ein riesiger Garbage-Fan. Der jetzigen Wiederauferstehung der Band stand ich dennoch eher skeptisch gegenüber, schließlich waren die Alben immer schwächer geworden und auch das neue Werk ist, nun, nicht direkt schlecht, aber auch nichts, das mein Leben sonderlich bereichert hätte. Nichtsdestotrotz war es interessant, die Band nach schlappen 16 Jahren auch mal wieder live zu sehen, also ging es am späten Abend noch zur kleinsten Bühne des Festivals, wo schon viele Fans ungeduldig warteten (manche von ihnen allerdings auch auf die Beatsteaks, die hier gerüchteweise einen Geheimauftritt haben sollten).


Die Bühne erklommen dann aber nur Garbage, was uns auch lieber war. Es erschienen Butch Vig, Steve Marker, Duke Erikson und ein weiterer Mi(e)tmusiker, die ihre Plätze eher am Bühnenrand einnahmen. Der Mittelpunkt und ein Extraauftritt gebührten Shirley Manson. Sie hat immer noch ihre roten Haare, die sie oben auf ihrem Kopf zu einem strengen Dutt frisiert hatte, und auch sonst war mit ihrem Bühnengebahren nicht zu spaßen. Wie eine Tigerin im Käfig schritt sie die Bühne wieder und wieder ab und gab alte und neue Garbage-Hits mit kräftiger Stimme zum Besten.

Eröffnet wurde das Set mit „Automatic Systematic Habit“ vom neuen Album, doch es sollte neben der mauen Single „Blood for Poppies“ und dem überraschend starken „Control“ der einzige Song aus „Not Your Kind Of People“ bleiben. Den Rest des Auftritts bestritten Garbage mit ihren zahlreichen Hits. „Shut Your Mouth“ wurde überraschend als Rap dargeboten, den Einstieg zu „Stupid Girl“ bildete der bekannte „I love to love you“-Gesang, der zu „I Feel Love“ gehört – vielleicht eine Reminiszenz an die kürzlich verstorbene Donna Summer.


Ansonsten bleibt festzuhalten, dass Garbage ihre Songs deutlich rockiger darboten als gewohnt und auf ruhige Titel wie etwa „Milk“ oder „The World Is Not Enough“ im Gegensatz zu ihren eigenen Konzerten bei diesem Festivalauftritt komplett verzichteten. Höhe- und gleichzeitig Schlusspunkt dieses überraschend überzeugenden Auftritts bildete „Only Happy When It Rains“ – was auch ein böses Omen für den folgenden dritten Tag darstellen sollte.

Setliste:

Automatic Systematic Habit
I Think I'm Paranoid
Blood for Poppies
Why Do You Love Me
Queer
Shut Your Mouth
Stupid Girl
#1 Crush
Control
Cherry Lips (Go Baby Go!)
Vow
Push It
Only Happy When It Rains

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