Traurige Liebeslieder und was sie auslösen: Enno Bunger im Frankfurter Mousonturm

by - November 13, 2013


Letzte Woche noch rügte ich Christoph auf Facebook dafür, dass er scherzhaft beim The National-Konzert ein Gemetzel an den anderen Konzertbesuchern ersehnte, vorgestern war ich dann selbst so weit. Dass das Publikum beim Enno Bunger-Konzert im Mousonturm zu 75 % weiblich war, überraschte zunächst nur, aber störte selbstverständlich nicht. Dass viele der altersmäßig breit gestreuten Besucherinnen unter hormoneller Unausgeglichenheit zu leiden schienen, muss man beim Konzert eines Dichters trauriger Liebeslieder wohl akzeptieren, da werden eben Retterinneninstinkte wach. Dass die alleraufgeregteste Konzertbesucherin direkt vor uns, also quasi zwischen uns und Enno saß, war dann aber schon extrem störend. Es ist einfach unheimlich schwer, der eher ruhigen Musik zuzuhören, wenn vor einem im Sitzen abgetanzt, headgebangt und Luftklavier gespielt wird, und wenn jeder einzelne Applaus mit einem extralauten "WUHUU!" eingeleitet und die kleinste Bemerkung des Idols mit einem demonstrativen Lacher bedacht wird. Herrje, das war wirklich schwer zu ertragen.


Aber beginnen wir am Anfang, denn Enno war dieses Mal nicht allein gekommen. Seine Vor- und spätere Begleitband waren Woods of Birnam. Wem dieser Name bekannt vorkommt, der hat wahrscheinlich Macbeth gelesen. Dieser bekommt in Shakespeares Drama von den Hexen prophezeit, er könne nur besiegt werden, wenn der Wald von Birnam sich auf sein Schloss zubewegt. Macbeth hält das für unmöglich, aber sein Bezwinger Macduff tarnt einfach seine Soldaten mit Laub und Ästen aus dem Wald.

Der Theaterkontext ist wohl bei der Band kein Zufall, ihr Sänger ist nämlich der nicht unbekannte Schauspieler Christian Friedel ("Das weiße Band"), die restlichen Musiker sind von Polarkreis 18 (deren eigentlicher Sänger Felix Räuber ja dieses Jahr allein mit Maximilian Hecker unterwegs war). Die Band hat bislang ein Konzept-Minialbum zu Hamlet (irgendwer mag hier definitiv Shakespeare), mit dem sie aktuell am Schauspiel Dresden auftritt, und eine EP ("The Healer") veröffentlicht, ein richtiges Album kommt 2014.


In Frankfurt trat die Band, die eigentlich ein Quintett ist, nur zu dritt auf, mit Sänger Christian am Keyboard, Philipp Makolies an der Gitarre und Uwe Pasora am Bass. Normalerweise enthält das Lineup zusätzlich noch Ludwig Bauer am Keyboard und Christian Grochau als Schlagzeuger.

Wie das meiner Erfahrung nach immer der Fall ist, profitierte die Band vom bestuhlten Saal: Die Leute saßen bereits auf ihren Plätzen und waren somit eher bereit, etwas Unbekanntem zuzuhören. Ich fand den sehr wechselhaften, teils unheimlich hohen, dann auch wieder "normalen" Gesang zunächst gewöhnungsbedürftig, aber mit den letzten beiden Songs, insbesondere dem sehr starken "I'll call thee Hamlet" konnten mich Woods of Birnam dann doch noch packen. Speziell das "Hamlet"-Album muss ich mir definitiv einmal anhören - was nun geht, da mein Freund nach dem Konzert noch beide Tonträger der Band erwarb.


Setliste:

Daylight
The Healer
Greenwood Tree
Remembrance
Dance
I’ll Call Thee Hamlet
Soon


Nach einer halben Stunde verabschiedete sich die Band kurz und kehrte dann mit Enno Bunger, der nun den zentralen Platz am Keyboard einnahm, zurück. Dazu kam noch ein am Set der Vorband nicht beteiligter Schlagzeuger. Nun nahm auch das Hormonunheil (siehe Eingangsabsatz) seinen Lauf. Enno begann sein Set zunächst allein mit "Abspann" und spielte auch im Folgenden hauptsächlich Lieder von seinem aktuellen Album "Wir sind vorbei". Den Witz, dass er es ursprünglich "Enno Sunshine When She's Gone" nennen wollte, kannten wir bereits von einem früheren Konzert in Offenbach, hätten aber sicher dennoch geschmunzelt, wenn man sich direkt vor uns nicht so demonstrativ vor Lachen ausgeschüttet hätte.


Enno erzählte im Folgenden, dass es es sehr genieße, mit Band auf Tournee zu sein, und dass die Band vor zwei Abenden mit Woodkid saufen gewesen sei (Beweisbild hier). Auch von seinem neuen Tourneeveranstalter zeigte er sich begeistert, allerdings sei in diesem November laut diesem "jeder, der eine Gitarre halten kann" auf Tournee, weshalb viele Hallen ausgebucht seien und man deshalb die Termine in einer geographisch unsinnigen Reihenfolge abfahren müsse (Bielefeld, Dresden, Frankfurt, Berlin ...). Offensichtlich haben die Herren auf den langen Busfahrten aber viel Spaß miteinander.

Überhaupt sprach Enno dieses Mal wieder viel, was die extrem traurige Stimmung der Songs vom zweiten Album ein wenig ausglich. Manche Geschichten kannten wir bereits ("Freundschaft" ist beliebt bei kleinen Mädchen, die Youtubevideos für ihre beste Freundin machen, außerdem konnte er mit dem Lied schon einen Metalfan rühren), andere waren uns neu (Enno wurde auf der Straße angesprochen und gefragt, ob er Thom York sei, worauf er behauptete, Peter Fox zu sein, und den Fragenden in dessen Namen Autogramme gab).


Als Enno ankündigte, er wolle nun ein paar Songs aus dem ersten Album spielen, sagte er, wer diese nicht hören wolle, könne einfach so lange eine rauchen gehen - worauf seine Begleitband komplett die Bühne verließ und das Publikum gefragt wurde, was man denn hören wolle. Am häufigsten wurden "Wahre Freundschaft" und "Pass auf dich auf" gewünscht, die Enno dann allein vortrug. Zu "Pass auf dich auf" erklärte er noch, dass es ihm minimale GEMA-Einnahmen beschere, denn es werde gerne bei Fernsehformaten wie "Mitten im Leben" verwendet. Der Song sei durch Inas Nacht bekannt geworden, wobei bei der Probe Ina noch schön und leise mitgesungen habe, das habe sich jedoch während der Aufzeichnung und ihrem Konsum etlicher Schnäpse in ein unangenehmes Mitgegröle verwandelt.


Auf der Setliste, die wir später sahen, war übrigens nur vermerkt gewesen, dass Enno an dieser Stelle ein bis zwei Lieder allein spielt, folglich war die Bitte um Zuschauerwünsche eine ernst gemeinte - während des Konzertes hatten wir ein wenig daran gezweifelt. Im Anschluss spielte der Sänger ein neues Lied, das als Refrain "Das Licht am Ende des Tunnels ist kaputt" hatte. Man kann also wohl davon ausgehen, dass Album Nummer drei in textlicher Hinsicht keine Kehrtwende Richtung Optimismus beinhalten wird. In der Ankündigung des Songs erklärte Enno, dass ihn Radiohören beim Autofahren stets superwütend mache, weil überall dieselben drei Lieder laufen, zurzeit wohl hauptsächlich "An Tagen wie diesen" von den Toten Hosen. Diese hätten ein astreines Liedkonzept, in dem man bei jedem Refrain "Wohoo!" mitgrölen könne, was er uns an einigen Beispielen demonstrierte.


Nach anschließenden Rückkehr der Band hörten wir zunächst eine rockige ("Ennowar"-)Version von "Die Flucht". Nach "Ich möchte noch bleiben, die Nacht ist noch jung" und "Herzschlag" war dann erst einmal Schluss, wobei das Publikum nicht lange um eine Zugabe betteln musste.

Es folgten noch zwei Lieder, zuerst ein weiteres neues, das zur allgemeinen Überraschung auf Englisch war. Als Refrain machte ich "This won't break me" bzw. "You won't break me" aus, auf der Setliste war jedoch nur "You" vermerkt. Den Abschluss bildete mit "Regen" wieder ein Lied von "Wir sind vorbei", dann trat die nach all den traurigen Texten immer noch gut gelaunte Band gemeinsam an den Bühnenrand und verbeugte sich.

Enno Bunger mit Bandbegleitung zu sehen, war - von den Störfaktoren abgesehen - ein sehr schönes Erlebnis, das seine sowieso guten Songs noch einmal spannender und abwechslungsreicher wirken ließ.


Setliste:

Abspann (solo)
Leeres Boot
Roter Faden
Astronaut
Präludium
Blockaden
Euphorie
Wahre Freundschaft (solo)
Pass auf dich auf (solo)
Am Ende des Tunnels (solo)
Die Flucht
Ich möchte noch bleiben, die Nacht ist noch jung
Herzschlag

You
Regen

You May Also Like

0 comments