Neulich im Rotlichtmilieu: Slow Club im Hamburger Molotow

by - November 03, 2014


Bei der Planung unserer Hamburgfahrt war auch ein Konzert von Kylie Minogue im Kalender gewesen. Niemals hätten wir die mehr als 100 Euro bezahlt, die man für den Auftritt der Sängerin in der O2 World regulär hätte bezahlen müssen, aber nachdem wir die Möglichkeit gehabt hätten, umsonst hinein zu kommen, waren wir gespannt auf einen Konzerttyp, den wir so noch nie erlebt hatten - mit einer Choreographie, Tänzern, Kostümwechseln, vielleicht sogar Feuereffekten!

Ob uns das nun beeindruckt hätte, werden wir nie erfahren, denn das Konzert wurde wegen Insolvenz des Veranstalters abgesagt - offenbar wollten auch sonst nur wenige Menschen derart hohe Ticketpreise bezahlen, denn es sprang auch kein anderer Veranstalter ein.


So machte sich mein Freund auf die Suche nach einem 'Ersatzkonzert' und wurde bei Slow Club fündig. Statt O2 World hieß der Auftrittsort nun Molotow und entpuppte sich als kleiner Club mit Ambigramm-Logo in unmittelbarer Nähe der Reeperbahn, an dessen Kassettendecke Schallplatten genagelt waren. Kostümwechseln und Tänzer waren hier eher nicht zu erwarten, dafür mussten die etwa 50 Zuschauer, mit denen der Club bereits beinahe voll war, auch 'nur' 16 Euro.

Slow Club sind ein Duo aus Sheffield, das im Molotow zwei Zusatzmusiker an Schlagzeug und Bass dabei hatte. Rebecca Taylor sorgte bei den meisten Liedern für Gesang, spielte Gitarre und vereinzelt Schlagzeug. Charles Watson sang ebenfalls und wechselte zwischen Gitarre und Keyboard hin und her.


Während die beiden die ersten drei Songs gemeinsam zum besten gaben, darunter die Single "Complete Surrender", sang Rebecca anschließend das sehr gefühlvolle und traurige "Not Mine To Love" solo, dann übernahm Charles allein die Bühne und den Gesangspart zu "If We're Still Alive". Davor erzählte er dem Publikum, dass die Band vor dem Konzert das Miniatur Wunderland besichtigt habe, und zwar bereits zum zweiten Mal. Das erfreute uns besonders, denn wir waren ebenfalls direkt von der Modellbau-Ausstellung zum Molotow gefahren - hätten wir uns abgestimmt, hätte man sich vielleicht ein Taxi teilen können...


Die darauf folgenden "Number One" und "Beginners" waren die rockigsten Lieder des Sets, danach fragte Rebecca, ob wir Lust auf einen weiteren traurigen Song hätten. Das anschließende "My Queen's Nose" war aber nur am Anfang getragen und wurde dann auch recht laut.

Damit war der Hauptteil des Konzerts, der aus insgesamt 12 Songs bestand, auch schon beinahe beendet. Rebecca fragte ins Publikum, ob jemand einen Ort wüsste, wo die Band anschließend "Wiff Waff" spielen könnte, und meinte damit Tischtennis - von dem sie dachte, dass es auf Deutsch "Wiff Waff" hieße. Laut Internet nennt man die Sportart aber umgangssprachlich auf Englisch so, quasi als englisches Wort für Ping Pong. In jedem Fall wusste niemand einen geeigneten Ort für Tischtennisvergnügen nach 22 Uhr.


Vielleicht deshalb bekamen wir von den auf der gut sichtbaren Setliste vermerkten drei Zugaben nur zwei zu hören. Für "Suffering You, Suffering Me" begab sich das Duo (die Zusatzmusiker waren für die Zugaben nicht mit zurückgekehrt) in den Zuschauerraum und spielte diesen traurigen Liebessong akustisch, während ein sicherlich frisch von der Liebe enttäuschtes Mädchen in einer der Sitzecken dazu weinte. Wir konnten nicht herausfinden, ob sie bereits die ganze Zeit weinte, es am traurigen Lied lag, sie auch erkannt hatte, dass eine Zugabe weggelassen worden war oder sie vielleicht vergeblich auf ein Tischtennisspiel mit der Band gehofft hatte.

Für die zweite Zugabe "Hackney Marsh" mussten wir die Band wiederum zurück auf die Bühne klatschen, was dieses Mal ungewöhnlich lange dauerte. Als die ersten Gäste bereits gegangen waren, kehrten die beiden doch noch zurück und Rebecca erklärte, sie sei auf der Toilette gewesen. Das hatte ich so auch noch nicht gehört.


Insgesamt ein unterhaltsames Konzert einer mir vorab weitestgehend unbekannten Band, deren musikalischer Stil ungewöhnlich abwechslungsreich war: Traurige Balladen (die mir persönlich am besten gefielen) wechselten sich ab mit Indie Rock und Sixties Retro Pop.

Sicherlich, das Erlebnis eines Kylie-Liveaufritts konnten Slow Club nicht ganz aufwiegen, schon weil sie keinerlei Kostümwechsel in ihrem Programm hatten, aber dafür können sie ihre Gesichtsmuskeln wahrscheinlich noch besser bewegen als die australische Popkönigin.



Setliste:
Tears Of Joy
Never Look Back
Complete Surrender
Not Mine To Love
If We're Still Alive
Number One
Beginners
My Queen's Nose
Our Most Brilliant Friends
Everything Is New
Wanderer Wandering
Two Cousins

Suffering You, Suffering Me
Hackney Marsh

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