Neulich am Polarkreis: Norður Og Niður (Tag 1)

by - Januar 02, 2018


Ich mag die isländische Band Sigur Rós (nach Björk der vermutlich bekannteste musikalische Export des Landes, das über eine sehr hohe Musikerdichte verfügt) durchaus, aber vermutlich käme ich nicht von mir aus auf die Idee, extra für eines ihrer Konzerte ins Ausland zu reisen - man kann sie ja auch des öfteren problemlos in Deutschland sehen. Mein Freund aber berichtete im Herbst aufgeregt darüber, dass die Isländer für den Abschluss ihrer aktuellen Tournee in Reykjavik etwas Besonderes geplant hätten: Insgesamt viermal würden sie zwischen Weihnachten und Silvester in der weltbekannten Konzerthalle Harpa auftreten.


Nachdem ich noch nie in Reykjavik oder Island gewesen war, ließ ich mich überreden - wir kauften letztlich sogar Tickets für zwei der vier Konzerte, nämlich das erste und das letzte. Was ich zum Zeitpunkt des Kaufs noch nicht verstanden hatte, war allerdings, dass um die Konzerte herum zusätzlich ein eigenes, von der Band kuratiertes Festival stattfinden sollte, dessen Künstler dann nach und nach enthüllt wurden. Das Lineup war hierbei durchaus ungewöhnlich, hatte für meine musikalische Vorlieben, abgesehen von Jarvis Cocker, allerdings leider eher wenig zu bieten. Nachdem die Reise aber nun bereits geplant war, hatte es aber auch wenig Sinn, das Festival, welches neben Konzerten auch Vorträge, Kunstinstallationen, DJ Sets, Filmvorführungen, tänzerische Darbietungen und einen Backwettbewerb umfasste, ganz zu verweigern, also ging ich eben (meistens) mit.

Falls sich übrigens jemand fragen sollte, was “Norður og Niður” bedeutet: Die Harpa-Website schreibt dazu “Norður og Niður” means “go North and go down”, but translates more accurately as “everything's going to hell”. Die beiden Runen, die als Logo für das Festival und dessen Merchandise dienten, stehen allerdings anscheinend für den Namen Sigur Rós.


Der 27. Dezember begann für uns mit einem kleinen Rundgang auf dem "Festivalgelände", das sich komplett im Inneren des Konzertgebäudes befand. Dieses umfasst neben dem Hauptraum "Eldborg", der ausschließlich für die Sigur Rós-Auftritte genutzt wurde, zahlreiche kleinere Säle auf insgesamt fünf Stockwerken, hinzu kommen kleinere Räume, Treppenabsätze und Korridore, die zweitweise allesamt für künstlerische Einlagen genutzt wurden. So wurden an allen vier Festivaltagen in einem Raum, der von außen gut durch eine Glasscheibe einsehbar war, Plattencover designt, die man am Festivalende (mit Platteninhalt) kaufen konnte, im Raum daneben liefen Videos von Sigur Rós.


In einem Flur bot eine Firma den kostenlosen Test ihrer Virtual Reality-Meditations-App FlowVR an, die als Hintergrundmusik selbstverständlich Sigur Rós nutzte. Das Konzept gefiel mir hierbei recht gut, leider war ich aber für die VR-Brille wohl schon zu weitsichtig: Trotz eines Einstellknopfes der Brille ließen sich die Bilder für mich einfach nicht scharf stellen.

Der Künstler Alex Somers hatte direkt nebenan eine musikalische Installation aufgebaut, bei der Geräusche und Gesang aus diversen Grammophonlautsprechern kam - wobei die eigentliche Musik auf zwei kleinen Kassettengeräten abgespielt wurde, die mit dem Hinweise versehen waren, man möge die Kassetten, wenn sie zu Ende seien, bitte einfach umdrehen.


Unser erstes "richtiges" Konzert fand dann im "Kaldalón" statt, einem hörsaalartigen, kleineren Raum mit sehr stark ansteigendem Zuschauerbereich - so konnte jeder problemlos sitzend die Bühne sehen. Hier trat die Musikerin Kristín Anna auf, die früher ein Mitglied der Band múm war. Sie setzte sich an einen Flügel und sang mit einer recht ungewöhnlichen, sehr kindlich wirkenden Stimme.


Sie wurde von drei weiteren Musikern begleitet: Ihrer Zwillingsschwester Gyða, die noch bei múm ist, einem Trompeter und einem Gitarristen, der auch ein kleines Keyboard hatte. Gyða spielte ein Cello, das sie nicht, wie man es kennt, sitzend bediente, sondern sich im Stehen umhängte. Häufiger hatten Musiker in einem der Songs keine Aufgabe und setzten sich dann so lange ins Publikum - Gyða landete dabei direkt vor uns und fragte mich mehrmals nach der Zeit, denn sie hatte offenbar auch den pünktlichen Ablauf zu verantworten. Am Ende eines Liedes flüsterte Gyða - ebenfalls aus dem Publikum - einige Worte, bei einem anderen sang sie ein Echo auf den Gesang ihrer Schwester.

Kristín Anna trug am Flügel Lieder aus einem Songzyklus namens "I must be the devil" vor, an dem sie bereits seit zehn Jahren arbeitet. Sie verfügte zwar über eine Setliste, änderte diese aber immer wieder spontan und raunte ihren Mitmusikern zu, wie es weiter gehen würde - insofern sind die hier aufgelisteten Songs eher ein Leitfaden als die tatsächliche Setliste.


Die Sängerin sprach diverse Male mit dem Publikum, nicht alles verstand ich (obwohl es Englisch war, sie sprach nur recht leise und schnell). Auf jeden Fall bot sie an, wer Interesse habe, könne im Anschluss Musik von ihr kaufen. Das vorgetragene Material sei noch nicht veröffentlicht, deshalb könne sie nur die letzte CD verkaufen, diese sei völlig anders und ideal geeignet, falls man unter Schlafstörungen leide.

Ursprüngliche Setliste:

Ocean
Forever Love
Spinning Diamond
Clay Vapour
Girl
Like the others
I must be the devil
Heartly … (?)


Anschließend gingen wir in einen Korridor, in dem der Reykjanesbær Music School Bell Choir auftrat. Die aus 11 Schülern bestehende Gruppe existiert seit 2012 und hat schon diverse Auftritte absolviert. Für das Festival spielten sie eine Setliste die - passenderweise - ausschließlich aus bekannten Sigur Rós-Songs bestand. Die Umsetzung in den Glockenklang gelang hierbei hervorragend und machte viel Spaß, allerdings nutzte sich der Effekt gegen Ende des Sets auch ein wenig ab. Die Gruppe absolvierte im Rahmen des Festivals zwei Auftritte, am nächsten Tag sahen wir sie für kurze Zeit nochmals.


Setliste:

Starálfur
Fljótavik
Inní mér syngur vitleysingur
Sæglópur
Hoppipolla
Untitled #3 (Samskeyti)


Anschließend war es Zeit für die "Headliner" - was so nicht ganz stimmte, denn das Festival lief um die Konzerte herum, sprich: Man brauchte separat Tickets. Mein Freund hatte uns für Sigur Rós Tickets der teuersten Kategorie gesichert, und wir hatten auf ihnen etwas von "1. Reihe" gelesen, insofern war die Vorfreude auf einen Platz direkt vor der Bühne groß - aber leider vergebens. Verwundert entdeckten wir, dass unsere Karten auf einen Saaleingang im dritten Stockwerk verwiesen, und tatsächlich saßen wir zwar in der ersten Reihe - aber auf dem zweiten Rang. Unsere Sicht von dort war zugegebenermaßen gut, der Klang herausragend, aber aus der Höhe wirkten die LED-Animationen vieler Lieder nicht so recht, weil sie auf ein Publikum zugeschnitten waren, das sich auf derselben Ebene befand.


Für Sigur Rós war es der erste Auftritt in Island seit 2012 - seitdem hatte ich die Band bereits in Rom, Frankfurt, Stockholm und beim A Summer's Tale Festival gesehen - aber vor nur 1600 Zuschauern haben sie dort sicherlich schon lang nicht mehr gespielt. Als Trio war es sogar der erste Auftritt in Island.

Was den Auftritt und die Songauswahl angeht, kann ich Zeit sparen und einfach auf den Bericht meines Freundes aus dem letzten Oktober verweisen, denn alles wurde genauso gehandhabt: Songauswahl (mit dem Schwerpunkt auf dem Album "( )" und inklusive vier neuer Lieder), Animationen, Zweiteiligkeit des Sets (wobei eine Pause in einer richtigen Konzerthalle etwas sinnvoller erschien als im Ambiente der Höchster Jahrhunderthalle), Beginn des zweiten Teils hinter dem "Vorhang" und dessen Entfernung und insgesamt zweistündigem Auftritt mit dem fulminanten "Popplagið" als krönendem Abschluss.


Ein bisschen hatten wir ja gehofft, dass die Auftritte in Reykjavik vom gewohnten Muster der Tour abweichen würden, aber letztlich waren sie ja der Abschluss besagter Tour und gehörten eben dazu. Bereits im Vorfeld hatte das Trio die Fragen, ob zum besonderen Anlass Kjartan Sveinsson oder Amiina mit auf der Bühne stehen würden, kurz und knapp mit "Nein" beantwortet.
Da das Festival während der vier Konzerte von Sigur Rós in den übrigen Sälen weiterlaufen sollte, verpassten wir an diesem Abend leider den Auftritt von Alexis Taylor.

Setliste:

Á
Ekki Múkk
Glósóli
E-Bow
Dauðalagið
Fljótavík
Niður
Varða

Óveður
Sæglópur
Ný Batterí
Vaka
Festival
Kveikur
Popplagið



Im Anschluss wanderten wir nochmals ins Erdgeschoss, wo im Bereich "Norðurbryggja" (der letztlich wieder ein Vorraum war, allerdings mit sehr schöner Aussicht durch die transparente Außenwand der Harpa auf den Hafen und erleuchtete Schiffe) Alex Somers nun seine Klanginstallation besuchte (was übrigens an jedem Festivalabend stattfand). Das Ganze funktionierte so, dass die beiden Kassetten, die sonst den Klang für die Lautsprecher lieferten, einfach weiter liefen. Zusätzlich spielte Alex nun - zum Leidwesen meines fotografierenden Freundes - im Dunkeln hintereinander an drei Orgeln getragene Melodien. Das klang recht schön und war eine nette Untermalung für den romantischen Ausblick, sonderlich spannend war es aber nicht.


Hinterher wollte mein Freund noch einen Blick auf Árni werfen, einem Mitglied der Vaccines, der, wiederum im kleinen "Hörsaal" Kaldalón, seine eigene Musik vorstellte. Árni Árnason beschreibt seine Musik selbst als "Depresso Tropicana" und hatte dementsprechend die Team-Kleidung der Vaccines gegen ein Hawaii-Hemd getauscht. Auch sein eigentliches Instrument, den Bass, hatte er zu Gunsten von Mikrofon und Keyboards an eine junge, schuhlose Dame weiter gereicht. Am folgenden Abend sollten wir erkennen, dass es sich um Vilborg Ása Dýradóttir von Mammút handelte. Im Hintergrund liefen seltsame, selbst produzierte Videos. Was das Ganze sollte, erschloss sich mir nicht, und wir sahen den wenig überzeugenden Auftritt nach einem langen Abend dann auch nicht zu Ende.

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